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Interview

«Jeder Band hat eigene Highlights und Herausforderungen»

RADAR21 Interview 02
FOTOS: KATHRIN SCHULTHESS

Sie sind täglich in Kontakt: Cristina ­Wildisen-Münch, stellvertretende Projekt­leiterin der Stadt.Geschichte.Basel, und Iris Becher, beim Christoph Merian Verlag ­zuständig für die Produktion der zehn Bücher. Ein halbes Jahr vor der Veröffent­lichung der ersten Bände gaben sie im Gespräch Einblick in ihre Arbeit, bei der sie die Fäden des komplexen Gross­­projekts gemeinsam in den Händen halten. Das Gespräch führte Miriam Glass.


Iris Becher, Sie sind für viele Buchprojekte im Christoph Merian Verlag verantwortlich. Was ist für Sie das Besondere an der Arbeit für die Stadt.Geschichte.Basel?

Das Projekt ist viel komplexer als die meisten anderen und stellt hohe Anforderungen an alle Beteiligten. Das ergibt sich durch die aussergewöhnlich lange Phase der Planung und Umsetzung und natürlich durch die riesige inhaltliche Zeitspanne, die die Stadt.Geschichte.Basel abdeckt, von den ersten Siedlungsspuren bis ins 21. Jahrhundert. Einen Band zur Ur- und Frühgeschichte zu betreuen ist anders als die Arbeit an einem Buch zum 19. Jahrhundert. Hier gehört beides zum selben Projekt.


Cristina Wildisen-Münch, auch für Sie ist diese Projektleitung nicht die erste. Was finden Sie speziell daran?

Die Menge an Leuten, mit denen ich arbeite. Ich koordiniere die Schnittstelle zwischen dem Verlag und den über 50 Autorinnen und Autoren, dem Herausgebergremium und dem Stiftungsrat. Dazu bin ich für die Bildredaktion verantwortlich. Es laufen weit mehr Fäden bei mir zusammen als bei anderen Projekten.


Ticken Historiker:innen, die die Steinzeit erforschen, anders als solche, die sich mit dem 19. Jahrhundert befassen?

CWM: Auf jeden Fall in der Art, wie sie publizieren. Das Forschungsgebiet prägt die Wahrnehmung der Autor:innen. Gut sichtbar wird das am Bildmaterial. Was für eine Archäologin wichtig und schön ist, ist vielleicht für ein grosses Publikum nicht auf Anhieb interessant. Fotografien aus dem 20. Jahrhundert sind zugänglicher, viele Leute können sich damit besser identifizieren als zum Beispiel mit dem Bild eines Faustkeils.


Was waren im Rückblick die grössten Herausforderungen? Gab es schlaflose Nächte?

IB: Schlaflose Nächte hat es immer mal wieder gegeben …

CWM: … und es stehen uns wohl auch noch einige bevor (beide lachen).


Warum?

IB: Es passiert einfach viel Unerwartetes. Jeder Band ist anders. Wir haben eine sehr gute Planung, und wenn etwas nicht funktioniert, lernen wir daraus. Aber was auch immer wir bei einem Band lernen, beim nächsten tauchen wieder ganz neue Fragen auf.


Können Sie ein Beispiel nennen?

CWM: Zum Beispiel erhalten wir Bildmaterial von völlig verschiedenen Institutionen und in unterschiedlicher Form. Das konnten wir nicht alles vorhersehen. Im Band 3 etwa haben die Verfasser:innen viel mit Grafiken und Karten gearbeitet. Diese müssen so platziert werden, dass der Text direkt darauf Bezug nehmen kann. Das stellt hohe Anforderungen an die Grafik. Es soll schön aussehen und verständlich sein, nicht «nur» wissenschaftlich.

IB: Die ersten Bände sind im Vergleich zu den späteren vom Text her viel kleinteiliger organisiert. Zu frühen Epochen tragen Spezialist:innen meist kleine Einheiten bei und schreiben über einzelne Forschungsfragen oder Methoden. Diese Beiträge ins Konzept eines umfassenderen Kapitels einzubinden, braucht viel Arbeit und Austausch.


Wie schafft man es, einen Bogen über so einen langen Zeitraum und so viele Bände zu schlagen? Wie entsteht daraus ein Ganzes, das auch in Einzelteilen «konsumiert» werden kann?

CWM: Der Austausch und die Abstimmung unter den Autor:innen haben schon in der Konzeptionsphase angefangen.

IB: Insgesamt waren die Verantwortlichen der einzelnen Bände sehr frei in ihren Konzepten. Aber es wurden Schwerpunkte definiert, die alle Bände berücksichtigen. Wir bezeichnen sie als Fenster, aus denen man in jeder Epoche auf dieselben Themen schaut.


Was waren neben den Herausforderungen die besonders schönen Momente?

CWM: Toll ist es immer, wenn ein fertig gestaltetes Dokument bereit ist und man nur noch die Schlusskorrekturen machen muss. Das ist eine schöne Arbeit.

IB: Ein Highlight ist auch die Zusammenarbeit zwischen uns beiden. Wir kannten uns bereits von früheren Projekten und arbeiten sehr produktiv, transparent und wertschätzend zusammen. Das macht Freude.


Der Verlag hat seine Bereiche, die Projektleitung der Stadtgeschichte ihre eigenen. Wo sind Ihre Berührungspunkte?

IB: Für dieses Projekt haben wir quasi eine «Standleitung», das heisst, wir sind fast täglich in Kontakt.

CWM: Es ist wichtig, dass wir einheitlich kommunizieren. Iris ist vom Verlag aus die Schnittstelle zum Korrektorat, zur Grafik und zur Druckerei, ich bin für die Kommunikation mit den Autor:innen oder Herausgeber:innen der einzelnen Bände und mit dem Infografik-Team zuständig.


Wer soll die Stadt.Geschichte.Basel lesen?

IB: Wir haben das Ziel, sie einer möglichst breiten Leserschaft zugänglich zu machen. Das Projekt ist in der akademischen Forschung verankert, soll aber für ein grösseres Publikum interessant sein.


Ist eine Buchpublikation wie die Stadt.Geschichte.Basel noch zeitgemäss? Wer stellt sich heute zehn Geschichtsbücher ins Regal?

CWM: Vielleicht werden nicht sehr viele Privatpersonen die Gesamtausgabe kaufen, aber die einzelnen Bände finden sicher Leserinnen und Leser und auch Käuferinnen und Käufer. Die Gesamtausgabe ist besonders interessant für Bibliotheken und Institutionen, sodass Forscher:innen die Publikation dort ausleihen oder lesen können.

IB: Es werden acht chronologische Bände sein, dazu der neunte Band, der Stadtgeschichte aus der Perspektive des Raums zum Thema hat. Der zehnte Band ist eine Übersichtspublikation, die sich besonders für ein breiteres Publikum eignet.


Wie sieht der Online-Auftritt aus?

CWM: Anlässlich der Publikation der ersten Bücher wird auch eine neue Webseite online gehen, die den bisherigen Webauftritt ablöst. Dieser gab Einblick in die Entstehung des Projekts und es wurden laufend Texte zu Themen aus den Büchern veröffentlicht. Ab März ist zusätzlich eine Forschungsplattform online, auf der alle Abbildungen mit ergänzenden Informationen hochgeladen werden. Dort finden sich auch die Karten und Infografiken aus der gedruckten Stadt.Geschichte.Basel, teils interaktiv. So können Forschende mit dem Material weiterarbeiten, das für die Stadtgeschichte zusammengesucht und erforscht wurde.


Haben Sie einen Lieblingsband?

IB: Ich bin ein Fan von Renaissance und Barock, vor allem wegen der Bildwelten dieser Zeit, die mich als Kunsthistorikerin interessieren. Ich denke an Hans Holbein den Jüngeren, an grosse Kunst, die auch in der Stadt Basel entstanden ist. Und ich freue mich sehr auf Band 9, der sich mit dem städtischen Raum befasst.

CWM: Als Frühneuzeit-Historikerin mag ich vor allem die Bände 4 und 5, die sich mit der Zeit von 1510 bis 1859 befassen. Und ich freue mich auf Band 10, den Überblicksband, der 2025 herauskommt.


Die ersten Bände der Stadt.Geschichte.Basel werden im März 2024 veröffentlicht. Wie werden Sie sich an der Vernissage fühlen?

IB: Wir sind dann mittendrin in der Produktion der Bände, die noch fehlen. Wir werden wohl an der Vernissage der ersten Bände die Probleme der folgenden besprechen …

CWM: Ja, wir werden kurz anstossen und uns dann wieder den Produktionsplänen zuwenden (beide lachen).

IB: Aber Ende 2025, wenn alle Bände erschienen sind, sind wir wohl zugleich froh und traurig, dass alles vorbei ist.


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