Das dreimal jährlich erscheinende Online Magazin RADAR der Christoph Merian Stiftung informiert über die Hinter- und Beweggründe des CMS-Engagements.

Die gedruckte RADAR Ausgabe mit dem ganzen Inhalt zum Thema kann hier bestellt werden.

Bewegung und Spiel

Willst du mit mir tanzen?

TEXT: REGULA WENGER

Allzu lange kann er noch nicht laufen, der kleine Junge im braunen T-Shirt, doch sein Ziel hat er schon genau im Blick: die Bobby-Cars neben dem Pavillon des Kasernentreffs. Während er darauf zuwankt, gerät er kurzzeitig in Rücklage, dann balanciert er aus und erreicht das anvisierte rote Rutschauto, ohne hinzuplumpsen. Kurz darauf bewegt sich der Bobby-Car: Beine und Oberkörper müssen viel arbeiten, es geht vor und zurück, vor und zurück.

Tomi Zeller sorgt erstmal für Ordnung, bevor er den Quartiertreffpunkt nachmittags für die Kinder öffnet. «Früher musste ich eine ganze Stunde lang wischen, weil hier so viele Scherben lagen. Das ist viel besser geworden.» Das Kasernenareal ist heute familienfreundlich und sauber, unter anderem auch dank dem Engagement des Quartiertreffpunkts. «Schliesslich sind wir immer hier, und wenn es Konflikte gibt, kann ich vermitteln.» Im unteren Teil des Pavillons ist eine Art übergrosse Schublade eingelassen, aus der Zeller Gokarts, Velos und Laufräder holt. «Die Gokarts konnten wir von der Siegerprämie des Basler Preises für sozialen Zusammenhalt kaufen», freut sich der Leiter des Kasernentreffs. Kaum hat er sie aufgestellt, kommen schon Siar und Romy angerannt. Siar gibt eine Identitätskarte als Pfand ab, bekommt den Helm angepasst – und ab geht’s quer über den weiten Platz. Romy bringt das Velo bald zurück und zieht los zum frisch aufgefüllten Wasserbecken.

Heiss umkämpft ist die Rampe vor dem Pavillon. Hier saust stundenlang hinunter, wer schon gut mit dem Bobby-Car unterwegs ist. Wenn Zeller gerade nicht angesprochen wird, geht er von sich aus auf die Eltern zu, die entweder im Schatten unter den Bäumen sitzen oder ihren Kleinen von der Schaukel zum Sandhaufen hinüber zur Kletterwand folgen. Heute klärt er eine Frau aus den Philippinen, die erst seit vier Tagen in der Stadt ist, über verschiedene Angebote auf, während ihr Sohn beim Erforschen des Treffpunkts mehr krabbelt als läuft, sich aber schon gross genug für die Kletterwand fühlt.

Tolle Stimmung auf der Tanzfläche

Conny Hasler tanzt für ihr Leben gern. Das macht sie oft zu Hause, aber noch lieber gemeinsam mit anderen. Die Baslerin kommt zum Tanzen in die «Disco für Tanzinteressierte mit und ohne Behinderung», die viermal jährlich im barrierefreien Quartiertreffpunkt Bachletten stattfindet. Sie initiierte die Tanzabende zuerst mit Therese Portugal, der ehemaligen Geschäftsleiterin der Vereinigung Cerebral Basel. In deren Auftrag organisiert Hasler seither die Disco. Gefällt ihr ein Song, saust sie mit ihrem Rollstuhl auf die Tanzfläche. Dort rollt sie vor und zurück, bewegt Kopf und Arme rhythmisch in der Luft. Manchmal gibt sie den Rädern einen leichten Stoss und bewegt sich im Wegrollen mit ihrem Körper.

«Willst du mit mir tanzen?», hört man immer wieder an diesen Abenden. Freiwillige vom Jungen Roten Kreuz tanzen mit und unterstützen die Disco auch hinter der Bar. «Die jungen Leute sind erstaunt, wie schnell bei uns gute Stimmung aufkommt – auch wenn sich erst zehn Leute auf der Tanzfläche befinden», erzählt Hasler. Vielleicht habe das unter anderem damit zu tun, dass auch Menschen mit geistiger Behinderung hierherkommen und weniger Hemmungen hätten als andere.

Viele bringen A4-Blätter voller Musikwünsche mit und belagern damit den DJ. Auch die Hoffnung, jemanden zum Flirten oder gar die grosse Liebe kennenzulernen, liegt in der Luft. Den Begriff Rollstuhldisco mag Hasler übrigens nicht, weil er nicht zutrifft. Manchmal kämen zwar ganze Wohngruppen, von denen viele im Rollstuhl sitzen, dann könne es auch mal eng werden auf der Tanzfläche, «in der Disco fühlen sich jedoch Menschen mit unterschiedlichsten Beeinträchtigungen wohl». Das Wichtigste ist: Hier können sich alle geben, wie sie sind.

Café Bâlance: Fit im Alter

«Wenn ich zu wild werde, bitte einfach melden!», sagt Natascha Beckerat zu dem silberhaarigen Trüppchen, das in bequemer Kleidung vor ihr steht. «Wir sind schliesslich nicht mehr 20!» Alle lachen. Tatsächlich sei das Durchschnittsalter in ihren Kursen 80 plus, erklärt die erfahrene Tanz- und Bewegungspädagogin. Café Bâlance heisst der Seniorentreff des Gesundheitsdepartementes Basel-Stadt, der aktuell in Zusammenarbeit mit Pro Senectute beider Basel im Familienzentrum Gundeli, in sechs Quartierzentren und in weiteren Treffpunkten angeboten wird. Zu Beginn des fünfzigminütigen Workouts werfen sich die Teilnehmenden mit Granulat gefüllte Säckchen zu. Auf Koordinationsübungen folgen Kräftigungsübungen für alle Muskelgruppen im Stehen, Gehen, Sitzen und Liegen.

«Natürlich gehört auch die Sturzprävention zu unserem Trainingsziel», erklärt Beckerat. Bei den Übungen am Boden mögen nicht alle mitmachen. Dabei lernen die Frauen und Männer, wie sie nach einem Sturz wieder aufstehen können. «Geh im Vierfüssler bis zum Stuhl, dann abstützen und aufstehen», leitet die Trainerin Margrit an, die gerade etwas unsicher wirkt und sich nach der Übung erstmal setzen und erholen muss. Auch die letzte Aufgabe hat es in sich: Im Stuhlkreis reichen die Senior:innen einander zwei grosse Bälle nach links und nach rechts weiter, während sie gleichzeitig mit den Füssen einen Lappen zur Nachbarin weiterschieben müssen.

Am Ende der Stunde gibt es jeweils Kaffee und Kuchen – nur heute nicht, weil die gute Fee, die ihn sonst kredenzt, krank ist. Stattdessen zeigt Helen auf ihrem Handy Fotos
ihres neuen Hundes. «E Siidebölleli», stellen die Damen fest, die sie umringen. Auch vom Kurs sind die Frauen begeistert – ebenso wie Jari, der einzige Mann in dieser Gruppe. Er habe ein Rückenleiden und versuche mit konservativen Mitteln, also mit viel Bewegung, eine Operation zu vermeiden. «Die Gruppe hier hat mir aber auch moralisch sehr geholfen, als ich einen schweren Verlust erleiden musste.» Am Vormittag koste es ihn viel Überwindung, in Gang zu kommen, am Nachmittag jedoch fühle er sich dank dem Seniorentreff schon viel beweglicher. Jetzt streckt er seine Beine. «Ja, wirklich schon besser!», sagt er, greift zu seinen Stöcken und blickt beim Weggehen noch einmal lächelnd zurück.