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Naomi Gregoris im Gespräch mit Sabine Himmelsbach

Zukunftsfähigkeit

Jedes Museum muss sich mit der Gegenwart beschäftigen, aber nur wenige befassen sich mit der Zukunft – und wenn, dann kaum so wie das HEK (Haus der Elektronischen Künste) in Münchenstein. Als nationales Kompetenzzentrum für alle Kunstformen, die sich mit Medien und neuen Technologien befassen, ist es nicht nur am Puls der Zeit, sondern stellt immer wieder relevante Zukunftsfragen: Wie prägt Künstliche Intelligenz unser Leben? Wer bin ich im Metaverse? Können wir uns vor Überwachung schützen? Was soll die Blockchain-Technologie? Es sind gigantische gesellschaftliche und technologische Fragen, die mittels Medienkunst spielerisch, kontrovers oder kritisch verhandelt werden.

Das HEK führt die Besucher:innen so an aktuelle Fragestellungen heran und zeigt ihnen gleichzeitig neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten auf, die sie für eine sich stetig wandelnde Welt wappnen. Direktorin des HEK ist seit 2012 die deutsche Kunsthistorikerin Sabine Himmelsbach. Sie führt nicht nur das Haus, sondern verwaltet auch die Sammlung, deren Fokus auf der «born-digital-art» liegt: Software- und netzbasierte Werke, die im digitalen Medium entstanden sind und oft keine physische Manifestation haben. Die Ausstellungen des HEK sind interdisziplinär und experimentieren mit neuen Formen und Formaten, das Vermittlungsprogramm setzt auf dialogische Führungen und spielerische Angebote zum Umgang mit neuen Techno­logien. Das Publikum ist breit gefächert – von den «Digital Natives» bis zu den «Digital Immigrants» werden Besucher:innen im HEK ermutigt, sich den grossen Fragen des Informationszeitalters zu stellen.

Naomi Gregoris im Gespräch mit Sabine Himmelsbach, Direktorin Haus der Elektronischen Künste

Sabine Himmelsbach, kann elektronische Kunst die Zukunft voraussagen?

Das würden wir uns wahrscheinlich wünschen (lacht). Ich würde eher sagen: Künstler:innen stellen utopische wie auch dystopische Entwicklungsmöglichkeiten in den Raum und fragen damit, welche Auswirkungen Technologien auf die Gesellschaft und auf uns als Menschen haben.

Ist es dann vielleicht mehr so etwas wie eine Vorbereitung auf eine ungewisse Zukunft?

Kunst beschäftigt sich ja immer mit dem, was ist in der Welt. Das Spannende an der Kunst und besonders an der Medienkunst ist, dass sie Handlungsoptionen oder Alternativen aufzeigt. Sie lädt uns ein, einen Perspektivenwechsel einzunehmen.

Zum Beispiel?

2015 machten wir eine Ausstellung zum Thema «Poetics and Politics of Data». Da ging es um Big Data und Data Mining, diese Zusammenführung grosser Datenquellen, und wie sie genutzt wird, um Informationen zu sammeln und damit Geld zu verdienen. Das Thema wurde damals breit diskutiert, wir wussten alle, wovon die Rede war. Aber dann sah man da eine Arbeit von Marc Lee, wo Geolokationsdaten von Google Maps mit eigens geposteten Daten von Insta­gram zusammengeführt wurden. Viele, gerade auch junge Leute, standen davor und sagten: Krass. Dank dieser visuellen Form der Auseinandersetzung hatten sie das Thema nochmals anders begriffen. In diesem Sich-Beschäftigen sind das Umdenken und Hinwirken immer mit enthalten. Der Künstler, in diesem Falle Marc Lee, sensibilisiert uns dafür, was die Technik macht und wo unsere Handlungsoptionen sind, und zwar jenseits von dem, was die grossen Tech­firmen vorgeben.

Es ist also auch eine Art Wappnung?

Elektronische Kunst ist prädestiniert dafür, uns für die Zukunft zu wappnen, denn sie entsteht ja aus dem Einsatz und der Nutzung von Medientechnologien. Oft geht es um das Verstehen von Technologien und oft auch um ein Dekonstruieren, also Formen von Hacking. In dieser bewussten Andersnutzung liegt das kritische Potenzial der Medienkunst. Um Technik nicht immer nur in einer Technologiegläubigkeit anzugehen, sondern kritisch zu hinterfragen. Zu sagen: Ja, die Technik ist spannend, aber sie ist eben auch nicht neutral. Das kann uns durchaus wappnen.

Beim Hacking geht es oft auch um technologische Überwachung. Wie kann die Kunst da wappnen?

Wir haben vor ein paar Jahren mit dem deutschen Künstler Aram Bartholl einen Workshop gemacht, wo wir kleine Handytaschen nähten. Und zwar mit einem Stoff, der von dünnen Metallfäden durchzogen war und das Handy wie ein Faradayscher Käfig gegen jede Form von Überwachung abschirmt. Wenn man das Handy da reinsteckt, dann ist es selbst für die NSA nicht mehr zu orten (lacht). Nicht dass man jetzt jederzeit sein Handy in dieser Hülle rumtragen muss. Aber man weiss, was zu tun ist, wenn man nicht geortet werden will.

Lehrt uns Medienkunst auch eine andere Lebenshaltung, zum Beispiel durch Verzicht?

Verzicht finde ich ein zu hartes Wort. Ich würde es eher als ein Umdenken beschreiben, gerade was die Nutzung von Technologien angeht. Zum einen betreffend den Aspekt der Über­wachung, von dem wir gerade sprachen. Aber auch im Sinne eines Wandels: wegzukommen vom Gedanken des «immer mehr», hin zu einem bewussteren Umgang. Wir hatten letztes Jahr eine sehr schöne Ausstellung dazu: «Earth­bound – im Dialog mit der Natur». Da war der Tenor: Ja, wir brauchen diese Technologien, weil unsere Welt komplex geworden ist, und wir werden ohne sie auch keine Lösungen finden. Aber wir können uns überlegen, wofür wir sie nutzen. Statt zum Beispiel künstliche Intelligenz dafür zu gebrauchen, den letzten Tropfen Öl aus der Erde zu saugen, können wir sie für das Monitoring von Vögelschwärmen einsetzen. Also die Technologie nutzen, um ein besseres Verständnis der nicht-menschlichen Welt zu bekommen, die so wichtig für unser Ökosystem ist.

Eine ebenfalls präsente Sorge ist die Entfremdung. Wie bringt das HEK die Menschen wieder einander näher?

Bei uns steht ganz stark der Austausch im Zentrum. Nicht nur bei unseren Führungen, die dialogisch und persönlich gedacht sind, wo die Vermittler:innen auch ihren ganz eigenen Hintergrund mit einbringen. Sondern auch Workshops wie der mit Aram Bartholls Handyhüllen, die ganz im Zeichen des Do-it-yourself aber auch des Do-it-together stehen. Daneben gibt es eigenständig laufende Angebote, wie etwa die BitFabrik, ein Programmierclub für Kinder. Mir ist es wichtig, in der zunehmenden Technologisierung auch Positives zu sehen. Das mit der Entfremdung stimmt natürlich, gleichzeitig haben wir während Corona erlebt, wie diese Werkzeuge wichtig sein können, um miteinander in Kontakt zu bleiben. Ich hätte in der Pandemie ohne Zoom oder WhatsApp nie meine Familie gesehen. Somit hat mir die Technik geholfen, im Kontakt zu bleiben statt zu vereinsamen.

hek.ch