Das dreimal jährlich erscheinende Online Magazin RADAR der Christoph Merian Stiftung informiert über die Hinter- und Beweggründe des CMS-Engagements.

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Zur Förderung von Sammlungen und Nachlässen im Bereich Fotografie

Das Bild für die Nachwelt erhalten

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TEXT: NATHALIE UNTERNÄHRER, LEITERIN ABTEILUNG KULTUR CMS FOTOS: CLAUDE GIGER

Ein Paar küsst sich inmitten eiliger Passanten losgelöst von Raum und Zeit, dahinter sieht man leicht verschwommen das Rathaus von Paris. Wer kennt es nicht, das wohl bekannteste Schwarz-Weiss-Bild des 20. Jahrhunderts, «Le baiser de l’hôtel de ville» des französischen Fotografen Robert Doisneau von 1950. Solch ikonenhafte Fotografien, die immer wieder zitiert und publiziert werden, gibt es viele. In Basel ist es zum Beispiel das Bild des offenen Birsig an der heutigen Falknerstrasse aus den 1870er-Jahren. Über Steine und Unrat stockt ein dünnes Rinnsal, eng gesäumt von mittelalterlichen Häusern, an denen unzählige Lauben und Plumpsklos kleben.

Dass solche Fotografien für Publikationen und Ausstellungen zur Verfügung stehen, dass sie die Betrachtenden in frühere Zeiten oder in andere Milieus führen, dass man weiss, wer die Aufnahme gemacht hat und wann sie entstanden ist, ist nicht selbstverständlich. Anders als bei der bildenden Kunst mass man der Fotografie lange Zeit keinen Wert bei, im Gegenteil, sie wurde als billige Reproduktion von Porträts abgetan oder als Dokumentationsmittel für die Wissenschaft spezifiziert.

Heute ist das zum Glück nicht mehr der Fall, man weiss um den mehrfachen Wert der Fotografie. Deshalb werden immer mehr Fotosammlungen sowie Vor- und Nachlässe von Fotografinnen und Fotografen gesichert, digitalisiert, archiviert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das braucht Geld – und da mit dem Verkauf von Fotografien für Publikationen und für die Presse heute kaum mehr nennenswerte Einnahmen möglich sind, ist es wichtig, dass für die Sicherstellung solcher Sammlungen Fördergelder zur Verfügung stehen.

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1978, Basel, Untere Rheingasse

Die CMS unterstützt seit langem den Erhalt und die Vermittlung des kulturellen Erbes. Sie ist der Meinung, dass das kulturelle Erbe der Stadt nicht statisch, sondern dynamisch ist, da jede Generation aus dem jeweiligen zeithistorischen Kontext neu auf die Geschichte und ihre Zeugnisse schaut und diese als zentrale Quelle für Zukunftsentwürfe braucht. Darum sind für die CMS Erhalt und Vermittlung der kulturellen Wurzeln mehr denn je unverzichtbar.

Unter diesen Förderaspekt fällt auch der Erhalt von Fotonachlässen. Die CMS fördert mit namhaften Beiträgen die Erschliessung fotografischer Nachlässe und Sammlungen und unterstützt die Fotograf:innen oder deren Nachfahren im Zugänglichmachen der Sammlung für die Öffentlichkeit. Natürlich gibt es Auswahlkriterien, denn die Erschliessung und auch der Unterhalt von Sammlungen sind sehr kostspielig. Für die CMS sind vier Aspekte förderungswürdig:

  • Die Fotograf:innen müssen über eine grosse Zeitspanne in Basel tätig gewesen sein und einen relevanten Beitrag an die «Fotogeschichte Basels» geleistet haben – wie beispielsweise die Fotografendynastie Hoffmann, die während mehrerer Generationen ein Fotogeschäft an der Clarastrasse betrieb.
  • Sie müssen mit ihrem Werk pionierhafte Arbeit geleistet haben – wie zum Beispiel Lothar Jeck, der mit neuer Technik und einem unverkennbaren Blick der Sportfotografie einen noch nie dagewesenen Input gab.
  • Die Fotograf:innen müssen wichtige Ereignisse und gesellschaftliche Aufbrüche der Menschen in Basel dokumentieren – wie zum Beispiel Claude Giger, der sich der sozialen und alternativen Stadt widmete.
  • Und schliesslich werden auch Sammlungen bedacht, die in Basel beheimatet sind und die den Fotostandort Basel stärken –  wie beispielsweise die Fotosammlung Herzog oder die Fotosammlung der Gesellschaft für Volkskunde.
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15. Januar 1991, Basel, Marktplatz

Wichtig für die Unterstützung solcher Unterfangen ist, dass für jeden Vor- oder Nachlass und für jede Sammlung der richtige Weg gewählt wird. Es muss geklärt werden, wer die Sammlung erschliesst und vor allem, welche Institution schliesslich als Erinnerungs- und Gedächtnisort den Fotografien eine dauerhafte Heimat bieten wird. Auch hier gibt es keine Nullachtfünfzehn-Lösung, sondern es wird erwogen, welches Archiv, welche Bibliothek oder welches Museum für die spezifische Sammlung der richtige Ort ist. Für Foto Hoffmann mit einem Basler Fotogeschäft war es zum Beispiel das Staatsarchiv Basel, für den Vorlass von Claude Giger mit seinem Schwerpunkt auf Sozialthemen ist es das Sozialarchiv Zürich.

Ein weiterer bedeutender Förderaspekt der CMS ist die Vermittlung der Sammlungen. Denn auch hier gilt wie bei anderen Nachlässen auch: Nur wenn die Fotografien bekannt und zugänglich sind, wenn sie publiziert werden und wenn über sie geschrieben wird, lebt der Nachlass und behält seinen Wert. So werden Publikationen über die Nachlässe und Sammlungen unterstützt, beispielsweise «Belichtungszeit. Fotografien aus der Sammlung Ruth und Peter Herzog», oder Ausstellungen initiiert und finanziert, wie etwa «past & post – Fotografie in Archiv & Netz», eine Kooperation zwischen dem Staatsarchiv und dem Ausstellungsraum für zeitgenössische Fotografie BelleVue, welche die historische Fotografie mit aktueller Fotografie in Dialog setzte.

Über die Jahre ist Basel zu einem Hotspot für Fotosammlungen und -nachlässe geworden. Es gibt sehr unterschiedliche Sammlungen in verschiedenen Institutionen. Doch alle machen dasselbe: Fotografien sortieren, in Datenbanken aufnehmen, digitalisieren, weitere Informationen zusammentragen, sachgemäss aufbewahren, restaurieren und vieles mehr. Was liegt also näher, als das Fachwissen mit anderen zu teilen, sich über aktuelle Themen rund um Fotosammlungen auszutauschen und gemeinsam für spezifische kulturpolitische Anliegen einzustehen? Aus diesem Grunde haben die CMS, das Staatsarchiv Basel und das Jacques Herzog und Pierre de Meuron Kabinett vor mehr als einem Jahr alle Fotosammlungen der Region eingeladen, sich kennenzulernen und auszutauschen mit dem Ziel, die 2001 gegründete, aber nicht mehr aktive Interessengemeinschaft für historische Fotografie Basel zu reaktivieren. Corona hat das Vorhaben verlangsamt, doch schliesslich gelang ein erster Austausch per Zoom und im August 2021 dann ein sehr produktives und inspirierendes physisches Treffen. Man war sich einig: Es gibt viele gemeinsame Interessen und Anliegen. Nun bleibt zu hoffen, dass es gelingen wird, ein Fotonetzwerk Basel zu gründen und dass dieses mit seiner Arbeit den Fotosammlungsstandort Basel weiter stärkt.