Christoph Merian Stiftung

Statistik

Ein Beitrag von Pascal Pfister
Geschäftsleiter Dachverband Schuldenberatung Schweiz

Der statistische Blick ermöglicht ein Verständnis von Risikofaktoren, Ausmass und Folgen von Schulden über Einzelfälle hinaus. Er liefert damit wichtige Grundlagen zum Umgang mit dem Thema Schulden, sowohl für die Forschung als auch für Politik und Verwaltung. Diese statistische Analyse fokussiert auf die Situation von Verschuldeten im Kanton Basel-Stadt. Dazu werden Zahlen des kantonalen statistischen Amtes, des Bundesamts für Statistik und des Dachverbands Schuldenberatung Schweiz herangezogen. Die Daten des Bundesamts sind jeweils auf die Schweiz oder die Grossregion Nordwestschweiz beschränkt, jene des Dachverbands Schuldenberatung Schweiz stammen von Beratungsstellen aus der ganzen Schweiz, die Basler Zahlen von Plusminus, der grössten Beratungsstelle in Basel.

Schuldenarten, deren Höhe und Verbreitung

Schulden bzw. Kredite gehören zu unserem Wirtschaftssystem, wie deren Verbreitung eindrücklich zeigt. Schweizweit lebten im Jahr 2020 gemäss Bundesamt für Statistik mehr als vier von zehn Personen (42,9%) in einem Haushalt mit mindestens einer Art von Schulden, wie Leasingverträgen, Krediten, offenen Rechnungen oder Kontoüberziehungen. In der Nordwestschweiz betraf dies 41,7% der Personen. In 6,9% resp. in der Nordwestschweiz in 6,6% der Haushalte bestehen gleichzeitig mindestens drei Arten von Schulden.

Die Häufigkeit der verschiedenen Schuldenarten ist regional unterschiedlich verteilt. Schweizweit sind Fahrzeug-Leasings die häufigste Art von Schulden. Anders in der Nordwestschweiz: Hier stehen unbezahlte Rechnungen mit 16,6% an erster Stelle. Bei offenen Ratenzahlungen liegt die Region mit 8% über dem Schweizer Durchschnitt, bei Konsumkrediten mit 6,7% der Haushalte genau im Schweizer Durchschnitt.

Jedoch sind die häufigsten Schuldenarten nicht automatisch auch jene, aufgrund derer sich verschuldete Personen in erster Linie an Beratungsstellen wenden. In der Schuldenberatung spielen beispielsweise die weit verbreiteten Fahrzeug-Leasings eine sehr untergeordnete Rolle. Dafür kommt eine grosse Mehrheit von Ratsuchenden wegen Privatschulden, unbezahlter Steuern (86%) oder unbezahlter Krankenkassenprämien (63%) auf die Beratungsstellen.Selbst bezahlte Gesundheitskosten, Schulden im Bereich der Telekommunikation und Barkredite finden sich in jedem vierten Dossier.

Schulden in der Gesamtbevölkerung

Anteil Haushalte (Schweiz) mit einer der genannten Schuldenarten

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Quelle: Schuldenberatung Schweiz 2021

Schulden in der Schuldenberatung

Anteil Personen in der Schuldenberatung mit einer der genannten Schuldenarten

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Quelle: Bundesamt für Statistik 2020

Schuldenbetrag nach Altersgruppe

Durchschnittliche Schuldenbeträge von Personen in der Schuldenberatung geordnet nach Altersgruppen (Schweiz)

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Quelle: Schuldenberatung Schweiz 2021

Die durchschnittliche Verschuldung der Ratsuchenden in Basel lag im Jahr 2021 bei CHF 64’632, der Median bei CHF 37’301. Der substanzielle Unterschied zwischen Durchschnitt und Median weist darauf hin, dass eine Mehrheit der Personen in der Schuldenberatung mit sehr hohen Schulden lebt. Je älter die Ratsuchenden sind, desto höher sind ihre Schulden.

Bedeutung von Gemeinwesen und Inkassofirmen als Gläubigern

Sowohl bei der Gesamtbevölkerung wie auch bei den Ratsuchenden in der Schuldenberatung fällt auf, dass Schulden für rechtlich vorgesehene Abgaben am häufigsten sind. Addiert man die Schuldenvolumen nach Art der Gläubigerinnen und Gläubiger, zeigt sich gar, dass über die Hälfte der gesamten Schulden dem Kanton geschuldet sind. Dazu gehören Steuern, übernommene Krankenkassenprämien und bevorschusste Unterhaltsbeiträge.

Häufig machen Gläubigerinnen und Gläubiger ihre offenen Forderungen nicht selber bei den Schuldnern geltend, sondern geben diese Aufgabe an Inkassounternehmen weiter. In Basel-Stadt gilt die Besonderheit, dass Schulden gegenüber dem Kanton nicht an private Inkassounternehmen abgetreten, sondern über eine kantonale Inkassostelle (organisiert durch die Steuerverwaltung) bewirtschaftet werden. Diese Praxis hat sich sehr bewährt und verhindert negative Effekte, wie sie im Kapitel zur rechtlichen Perspektive beschrieben werden. Auffällig ist in jedem Fall aber, dass sich verschuldete Personen mit fortlaufender Dauer ihrer Verschuldungssituation zunehmend mit spezialisierten Inkassounternehmen konfrontiert sehen, weil diese das Inkasso oder sogar die Schulden selbst von den ursprünglichen Gläubigerinnen und Gläubigern übernehmen.

Schuldenvolumen nach Gläubigerart

Gesamtsumme der Schulden von Personen in der Schuldenberatung geordnet nach Art der Gläubigerinnen und Gläubiger (Schweiz)

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Quelle: Schuldenberatung Schweiz 2021

Betreibungen und Pfändungen, insbesondere wegen Steuer- und Krankenkassenschulden

Im Jahr 2022 gab es im Kanton Basel-Stadt 57’282 Betreibungen. Die Zahl ist seit einem Höhepunkt im Jahr 2014 deutlich rückläufig und mittlerweile wieder auf dem Niveau aus der Zeit der Jahrtausendwende angelangt. Einen leichten Rückgang gibt es auch bei Pfändungen und Verwertungen, allerdings weniger deutlich. Die Zahlen von Betreibungen und Pfändungen steigen jeweils dann, wenn sich Wirtschafts- und Finanzkrisen negativ auf die Beschäftigungszahlen auswirken.

Von den genannten Betreibungen machen die Steuerbetreibungen durch den Kanton 10’323 (18%) aus. Dabei ist nicht nur die Anzahl an Steuerbetreibungen, sondern auch die Höhe der betriebenen Beträge rückläufig. Bemerkenswert ist jedoch, dass rund zwei Drittel der Steuerbetreibungen auf der Grundlage amtlicher Steuereinschätzungen basieren, wobei dieser Anteil in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Es zeigt sich auch, dass überdurchschnittlich viele Personen mit einem tiefen Einkommen betrieben werden.

Steuerveranlagungen und -betreibungen nach Einkommensgruppe

Anzahl der Steuerveranlagungen pro Einkommensgruppe (in CHF) und Anteil der davon betriebenen Steuerrechnungen (Basel-Stadt)

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Quelle: Statistisches Amt Basel-Stadt 2017

Wenn Krankenkassenprämien oder Kostenbeteiligungen nicht bezahlt werden und die Person durch die Krankenkasse erfolglos gemahnt wurde, übernimmt der Kanton einen Teil der offenen Forderungen, die zur Ausstellung eines Verlustscheins geführt haben. Im Jahr 2021 übernahm der Kanton Basel-Stadt auf diese Art von den Versicherern offene Forderungen im Umfang von CHF 13 Mio. Insgesamt belaufen sich die offenen Schuldscheine für Krankenkassenprämien im Kanton Basel-Stadt auf CHF 16,3 Mio. Seit 2013 hat sich diese Summe fast verdoppelt.

Faktoren für ein erhöhtes Verschuldungsrisiko

In der Sozialberichterstattung 2015 identifizierte das Statistische Amt des Kantons Basel-Stadt sogenannte Risikogruppen für Verschuldung: Arbeitslose und Personen mit niedrigem Einkommen, Personen mit niedrigem Bildungsstand (obligatorische Schule), Einelternfamilien sowie Ausländerinnen und Ausländer. Angehörige dieser Gruppen haben im Vergleich zur restlichen Bevölkerung ein erhöhtes Verschuldungsrisiko – jedoch lässt sich daraus nicht schliessen, warum jemand in die Verschuldung geraten ist. Der dahinterstehende Prozess bleibt ebenso im Dunkeln wie die effektiven Ursachen der Verschuldung. Die Forschung zeigt, dass das Zusammenspiel von unterschiedlichen Faktoren zu Überschuldungssituationen führt. Dazu gehören neben psychosozialen und individuellen auch situative, sozioökonomische und strukturelle Faktoren.

Sozioökonomische und situative Faktoren

Ein tiefes und unsicheres Einkommen stellt ein Verschuldungsrisiko dar. Menschen mit einer universitären Ausbildung sind deutlich seltener verschuldet als solche mit einer Berufsbildung oder einem obligatorischen Schulabschluss. Überdurchschnittlich vertreten sind auch Menschen zwischen 30 und 50, also jene im besten Erwerbs- und Familienalter. Mit dem Alter steigt die Höhe der Schulden. Beim Blick auf die Haushaltssituation fällt auf, dass auf der einen Seite Alleinstehende und Alleinerziehende überdurchschnittlich oft verschuldet sind. Zwei Fünftel der Personen in überschuldeten Haushalten sind jedoch Kinder. Kritische Lebensereignisse wie Krankheit oder Unfall, Trennung, Scheidung oder Arbeitslosigkeit werden jeweils von einem knappen bis guten Drittel der Ratsuchenden als Grund für die Überschuldung genannt. Selbst in Haushalten mit hohen Einkommen können solche Ereignisse zur Überschuldung führen, weshalb auch solche zur Kundschaft von Plusminus gehören. Ein Drittel der Ratsuchenden nennt keine dieser meistgenannten Ursachen.

Psychosoziale und individuelle Faktoren

Individuelle Faktoren, wie eine fehlende Finanzkompetenz, spielen durchaus eine Rolle. Bei einem Viertel der Ratsuchenden gibt es Anzeichen einer administrativen oder kognitiven Überforderung. Auch Suchterkrankungen können eine Auswirkung zeigen, dies betrifft jedoch eine Minderheit. Die Wissenschaft behandelt auch den Zusammenhang von Verschuldung mit Persönlichkeitsmerkmalen und psychologischen Faktoren. Oft wird dabei aber eine enge Verbindung sozioökonomischer und psychologischer Faktoren konstatiert, z. B. der «Tunnelblick» als kognitive Folge von Knappheit. Psychologische Faktoren wie Persönlichkeitsmerkmale, Impulsivität usw., resümiert Felser in einem Beitrag, «sorgen durchaus dafür, dass Menschen gegenüber Überschuldung vulnerabler werden. Mindestens genauso wichtig sind aber die strukturellen Rahmenbedingungen. (…) Und mancher, der sich aufgrund seiner kognitiven und motivationalen Ausstattung vor diesem Problem sicher wähnt, kann bei entsprechend kritischen Rahmenbedingungen durchaus selbst betroffen werden.» (Felser, 2021)

Strukturelle Faktoren

Zu den Verschuldung beeinflussenden Faktoren zählen auch die Entwicklungen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, im System der sozialen Sicherheit, bei Steuern und Abgaben. Ein ausreichendes Stellenangebot für Risikogruppen, weniger prekäre Arbeitsbedingungen, bezahlbare Mieten und die Steuerbefreiung des Existenzminimums sind die beste Schuldenprävention. Negativ haben sich in den letzten Jahren trotz der Anpassung bei der Prämienverbilligung die steigenden Krankenkassenprämien ausgewirkt. Zu den strukturellen Faktoren gehört auch, dass Steuern und Krankenkassenprämien von den Bürgerinnen und Bürgern selbst verwaltet und nicht direkt vom Lohn abgezogen werden. Ebenso, dass ein hoher Teil der Gesundheitskosten selbst bezahlt wird.

Gründe für Überschuldung

Von Personen in der Schuldenberatung genannte Gründe für ihre Überschuldung

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Quelle: Schuldenberatung Schweiz 2021

Einkommen überschuldeter Personen

Häufigkeit der Einkommenskategorien (CHF pro Monat) von Personen in der Schuldenberatung

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Quelle: Schuldenberatung Schweiz 2021