Recht
Die digitale Kluft fordert die Rechtsordnung heraus. Internationale Menschenrechtsverträge und die schweizerische Bundesverfassung sind dem Ideal verpflichtet, dass allen Menschen ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Geschlechts und anderer Persönlichkeitsmerkmale die gleichen Teilhabechancen zukommen. Negative Auswirkungen der digitalen Transformation auf die Arbeitsbedingungen, ungleicher Zugang zu digitalen Technologien und Diskriminierung durch den Einsatz künstlicher Intelligenz sind längst nicht alle, aber zentrale Probleme, die auch mit rechtlichen Instrumenten bekämpft werden müssen.
Schutz im Arbeitsmarkt und bei der Organisation der Arbeit
Mit der Digitalisierung geht eine Transformation des Arbeitsmarktes und der Organisation der Arbeit einher. Die beruflichen Anforderungen verändern sich rasch, was von den Arbeitnehmenden erhebliche Anpassungsleistungen verlangt. Art. 41 der Bundesverfassung verpflichtet den Staat in Ergänzung zur persönlichen Verantwortung, dafür zu sorgen, dass alle Erwerbsfähigen den Lebensunterhalt mit Arbeit zu angemessenen Bedingungen bestreiten können. Weiter haben alle Personen einen Anspruch auf Teilhabe an der sozialen Sicherheit. Identische Verpflichtungen ergeben sich auch aus den von der Schweiz ratifizierten Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation ( ILO ) und aus den UN-Menschenrechtspakten. Die zunehmende Nutzung digitaler Internetplattformen für die Organisation von Arbeit hat jedoch eine Reihe von Herausforderungen mit sich gebracht. Dazu zählen die Zunahme sozialversicherungsrechtlich wenig abgesicherter selbstständiger Erwerbstätigkeit, die Verbreitung prekärer Beschäftigung und ein Anstieg der Scheinselbstständigkeit. Das Phänomen ist weltweit verbreitet und beschäftigt Gerichte aller Instanzen. Die Herausforderungen sowohl für die Verwaltung und die Gerichte als auch für den Gesetzgeber und die Sozialpartner sind gross ( Pärli 2020 )
Die Rechtspraxis muss dafür sorgen, dass die bestehenden Bestimmungen zum Schutz der Arbeitnehmenden, zur Bekämpfung von Scheinselbstständigkeit und digitaler Schwarzarbeit konsequent gegenüber digitalisierten Unternehmen angewendet und durchgesetzt werden ( Pärli 2020 ). Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die politischen Entscheidungsträger die Behörden mit den entsprechenden finanziellen und personellen Ressourcen ausstatten. Die Durchsetzung gesetzlicher Bestimmungen zum Schutz der Beschäftigten gegenüber international organisierten Plattformen wie Uber erfordert hohe fachliche Qualifikationen und Durchsetzungswillen seitens der zuständigen Behörden und der politischen Ebene. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, Schutzlücken und Defizite bei den Instrumenten zur Rechtsdurchsetzung zu identifizieren und entsprechende Abhilfe zu schaffen. Eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, wäre der erleichterte Nachweis des Vorliegens eines Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Beweislasterleichterung ( Pärli 2024 ). Zudem ist an die Einführung wirksamer und abschreckender Sanktionen gegen Missbräuche zu denken. Die Sozialpartner sind aufgefordert, in Gesamtarbeitsverträgen prekären Beschäftigungsverhältnissen besondere Aufmerksamkeit zu widmen ( Hassel et al. 2019 ).
Ungleichheiten auch im Arbeitsalltag reduzieren
Die Digitalität wirkt sich auf den Arbeitsalltag fast aller Beschäftigten aus. Digitalisierte Arbeitsabläufe führen zu einer Verdichtung der Arbeit, erhöhen den Stress und können die Gesundheit gefährden. Die Allgegenwärtigkeit von Smartphones und Internet führt zu einer Vermischung von Arbeits- und Wohnort sowie Arbeit und Freizeit. Technologien wie GPS-Tracking, E-Mail- und Internetüberwachung sowie Analysemöglichkeiten der generierten Daten ermöglichen eine umfassende Überwachung von Leistung und Verhalten der Arbeitnehmenden. Durch die Verlagerung von Arbeit ins Homeoffice greift die Überwachung zudem auch in den Privatbereich über und die gewonnenen Personendaten können datenschutzrechtlich bedenklich sein ( Pärli & Eggmann 2021 ). Auch bei diesen Phänomenen zeigt sich eine digitale Kluft. Hochspezialisierte Arbeitnehmende haben dank digitaler Technik einen grossen Freiheitsgewinn. Sie können ihre Arbeit weitgehend orts- und zeitunabhängig verrichten, verfügen über eine starke Verhandlungsposition und sind in der Lage, sich gegen zu starke Überwachung und Eingriffe in die Privatsphäre zu wehren. Im Gegensatz dazu sind « gewöhnliche » Arbeitnehmende den Gefahren ausgeliefert, wenn es an rechtlichen Schutzbestimmungen fehlt.
Art. 110 BV ermächtigt den Bund, Bestimmungen zum Schutz der Arbeitnehmenden zu erlassen. Das Arbeitsgesetz sieht entsprechend Vorschriften zur Arbeitszeit und zum Gesundheitsschutz vor. Es ist jedoch fraglich, ob die heutigen Bestimmungen den Anforderungen einer sich rasch wandelnden Arbeitswelt gerecht werden. Zu diskutieren ist ein « Recht auf offline » und Bestimmungen zum algorithmischen Management. Dabei kann sich der Gesetzgeber an der EU-Plattform-Richtlinie und auch an der EU-KI-Verordnung orientieren ( Pärli 2024 ). Beim Vollzug des Datenschutzgesetzes ist die besonders Gefährdung der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmenden zu beachten. Allenfalls ist auch eine besondere Regulierung zum Beschäftigtenschutz erforderlich, die über die wenigen heute geltenden Bestimmungen hinausgeht. Zudem ist ein verstärkter rechtlicher Schutz vor « algorithmischer Diskriminierung » notwendig. Auch die Sozialpartner sind aufgerufen, in den Gesamtarbeitsverträgen für Branchen und Berufe innerhalb der bestehenden gesetzlichen Schranken und Handlungsspielräume den neuen Arbeitsrealitäten Rechnung zu tragen. Innerbetrieblich sind die auf dem Mitwirkungsgesetz basierenden Arbeitnehmervertretungen ( Personalkommissionen ) aufgerufen, im Dialog mit den Arbeitgebenden die Gefahren und Nachteile der Digitalität zu thematisieren und gemeinsam nach Lösungen zu suchen ( Grasy, Seibold & Klengel 2024 ).
Förderung digitaler Kompetenzen
Bildung, Aus- und Weiterbildung sind zentrale Erfolgsfaktoren für die berufliche Integration. Im Internet zugängliche Informationen und Online-Lernangebote haben das Potenzial, den Zugang zu Informationen und Wissen zu erleichtern sowie Chancengleichheit zu ermöglichen. Dies setzt indes voraus, dass Menschen über die Kompetenz verfügen, mit den entsprechenden digitalen Tools umzugehen. Denn Kompetenzlücken verstärken die digitale Kluft. Diejenigen, die also bereits durch vorbestehende Umstände wie etwa soziale Ungleichheiten benachteiligt waren, haben allenfalls zusätzliche Probleme, gleichauf zu bleiben, während andere profitieren ( Stiller & Trkulja 2024 ). Wiederum ist auf die Verfassung zu verweisen. Art. 41 der Bundesverfassung sieht vor, dass Bund und Kantone dafür verantwortlich sind, Kindern und Jugendlichen wie auch Personen im erwerbsfähigen Alter eine ihren Fähigkeiten entsprechende Aus- und Weiterbildung zu ermöglichen. Dieses verfassungsrechtliche Sozialziel wird in der Gesetzgebung zur Grundschule, zur Berufs- und Hochschulbildung sowie im Weiterbildungsgesetz konkretisiert. Bei der Umsetzung der Gesetzgebung sind Behörden aller Staatsebenen und Stufen, die Sozialpartner und weitere Akteure der Zivilgesellschaft gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die einzelnen Personen ihrerseits ihre Verantwortung für die Bewältigung des digitalen Wandels wahrnehmen können. Die gesellschaftliche Realität ist vielfältig und entsprechend haben nicht alle Menschen die gleichen Voraussetzungen, Neigungen und Interessen an digitaler Technologie. Je stärker jedoch nicht nur die berufliche, sondern auch die gesellschaftliche Teilhabe zunehmend von digitaler Kompetenz abhängt, desto mehr braucht es einen rechtlichen Rahmen, der Ausgrenzung verhindert.
Fazit
Körperliche oder psychische Behinderung, fortgeschrittenes Alter, eine Krankheit, das Geschlecht oder insbesondere die soziale Stellung innerhalb der Gesellschaft können sich als Nachteil für die Teilhabe an der digitalisierten Gesellschaft erweisen. Das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot ( Art. 8 Abs. 2 BV ) verlangt, dass solche Barrieren durch geeignete Massnahmen verhindert bzw. abgebaut werden. Erforderlich sind eine erhöhte Aufmerksamkeit der relevanten staatlichen und wirtschaftlichen Akteure gegenüber Ausgrenzungsmechanismen sowie entsprechende bedarfsgerechte Unterstützungsangebote für die Zielgruppen.
Gesetzgeber, Behörden und Sozialpartner müssen sich je in ihrem Kompetenzbereich dafür einsetzen, dass die digitale Kluft verhindert oder zumindest deren Auswirkungen abgemildert werden. Als « Kompass » für die Debatte und die zu ergreifenden Massnahmen eignen sich die in Art. 41 der Bundesverfassung verankerten Sozialziele ( Soziale Sicherheit für alle, Arbeit zu angemessenen Bedingungen, Aus- und Weiterbildung entsprechend den Fähigkeiten ) sowie die verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbote und Egalisierungsgebote ( Art. 8 BV ).
Literaturhinweise
Grasy, J., Seibold, B. & Klengel, E. ( 2024 ). KI und algorithmische Systeme verstehen, bewerten und begrenzen. So gelingt Mitbestimmung bei KI : Praxisbeispiele und Impulse. In Mitbestimmungspraxis, No. 59, Hans-Böckler-Stiftung, Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung ( I.M.U. ).
Hassel, A., Ahlers, E., Schulze Buschoff, K. & Sieker, F. ( 2019 ). Die Rolle der Sozialpartnerschaft in der digitalen Transformation : Stellungnahme für die Enquêtekommission Digitale Transformation der Arbeitswelt in NRW. WSI Policy Brief, No. 29.
Pärli, Kurt ( 2024 ). Neue Richtlinie zu Arbeitsbedingungen bei Plattformarbeit in der EU : Hintergrund, Übersicht, Analyse und Bedeutung für die Schweiz. In Jusletter vom 24. Juni 2024.
Pärli, Kurt ( 2020 ). Arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Aspekte der Plattformökonomie : Status Quo, Analyse und Ausblick. In Basler Juristische Mitteilungen, Nr. 3, 141 – 178.
Pärli, Kurt & Eggemann, J. ( 2021 ). Ausgewählte Rechtsfragen des Homeoffice. In Jusletter vom 22. Februar 2021.
Stiller, J. & Trkulja, V. ( 2024 ). Digitale Teilhabe und Chancengleichheit : Wege zu gerechten Bildungsangeboten für Erwachsene. In Information – Wissenschaft & Praxis 75( 5 – 6 ), 243 – 252. https://doi.org/10.1515/iwp-20...