Medien
Digitale Medieninnovationen werden von Menschen entlang sozialer Bruchlinien unterschiedlich genutzt und haben unterschiedliche Folgen. Die Forschung deutet nicht auf eine Verringerung dieser Klüfte. Vielmehr scheinen sozial besser positionierte Menschen mehr von digitalen Angeboten zu profitieren. Auf gesellschaftlicher Ebene ist eine transparente Aushandlung und demokratische Steuerung der Werte, die der digitalen Medieninfrastruktur zugrunde liegen, überfällig.
Medien als Innovationen
Neue Medien stellen für Individuen eine Innovation dar. Wenn jemand von der Existenz einer neuen Kommunikationstechnologie erfährt, von ihrem Nutzen oder ihren Risiken hört oder mit Nutzungserwartungen konfrontiert wird, dann muss eine Entscheidung über die ( vorläufige ) Annahme ( Adoption ) oder Nichtannahme ( Nichtadoption ) gefällt werden ( Rogers 2003 ; Zillien 2009 ). Die klassische Wissensklufthypothese ( Tichenor et al. 1970 ) ist anwendbar : Das Wissen und letztlich der Nutzen, der aus der Anwendung digitaler Medien entsteht, wächst vermutlich proportional zum bereits vorhandenen Wissen. Eine anfängliche Informationsungleichheit vergrössert sich mit der Zeit und ein « Aufholen » ist daher kaum realistisch. Die drei Stufen der digitalen Ungleichheit ( vgl. Freuler, Einleitung, S. 13 ) werden mit jeder digitalen Medieninnovation neu wirksam. Zugangs-, Nutzungs- und Wirkungsklüfte kumulieren sich kontinuierlich im Wechselspiel mit sozialen Ungleichheiten ( Helsper 2021 ).
Der Zugang zu neuen Medienangeboten und das Erlernen des kompetenten Umgangs mit ihnen erfordert kontinuierliche Investitionen, die nur mit entsprechenden Ressourcen möglich sind. Auch die spezifischen Nutzungsweisen und Fähigkeiten, die bei Nichtadoption in der digitalisierten Gesellschaft gerade benachteiligend wirken, verändern sich ständig. Allein in den letzten knapp zwanzig Jahren wurde die Gesellschaft mit zahlreichen fundamentalen soziotechnischen Innovationen konfrontiert : mobiles Internet, Social Media, Streaming-Medien, Remote-Arbeit oder grosse Sprachmodelle ( KI ), innerhalb derer unzählige Anwendungen mit jeweils spezifischen Chancen und Risiken entstanden sind.
Die vorteilhafte und selbstbestimmte Nutzung neuer digitaler Medien ist in gewisser Weise ein Luxus : Wer es sich leisten kann ( finanziell, zeitlich, gesundheitlich etc. ), erkundet die sich bietenden Möglichkeiten ( Robinson 2009 ). In dieser neugierig-spielerischen Exploration sind positive Erfahrungen viel wahrscheinlicher, als wenn man später im Diffusionsprozess durch die Notwendigkeit der sozialen Teilhabe de facto zur Nutzung gezwungen wird. In der Folge sind diejenigen, die frühzeitig und selbstmotiviert den Umgang mit neuen Kommunikationstechnologien erlernen, wiederum am besten auf die nächste Innovation vorbereitet.
Dass Menschen Medien unterschiedlich nutzen und priorisieren, ist per se nicht problematisch. Es gehört zur persönlichen Autonomie, nach eigenen Präferenzen zu entscheiden, wie man digitale Medienangebote in den Alltag integriert. Allerdings sind die strukturellen Bedingungen dafür gesellschaftlich sehr ungleich. Nicht nur die individuellen Wünsche, sondern auch die sich daraus ergebenden Möglichkeiten und Auswirkungen sind unterschiedlich und nicht zufällig ( Büchi 2017 ).
Die Adoptions- oder Nutzungsperspektive stellt also das Individuum mit seinen Handlungsoptionen ins Zentrum. Gleichzeitig sind aber individuelle Handlungen immer durch die technischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten mitbestimmt : Welche Angebote gibt es überhaupt und für wen optimiert ? Welche Ressourcen sind verfügbar ? Obwohl sich diese soziotechnische Infrastruktur ständig wandelt und letztlich aus den Handlungen aller Akteure hervorgeht, stellt sie sich im Alltag für eine : n Mediennutzer : in als relativ unveränderlich dar. Hier liegt der Ansatzpunkt für Interventionen, für die kollektiv-politische Mitbestimmung dieser digitalen Infrastruktur. Die digitale Kluft in der Mediennutzung, die im nächsten Abschnitt empirisch beschrieben wird, ist ethisch umso problematischer, je eindeutiger ihre Auswirkungen den Erwerb von Ressourcen betreffen, die für die Teilhabe an einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind.
Digitale Mediennutzung : Zahlen und Befunde für die Schweiz
Weltweit nutzen 68 von 100 Personen das Internet – die Schweiz zählt mit 97 Prozent zu den Ländern mit der höchsten Internetverbreitung ( ITU 2025 ). Die relevante digitale Kluft liegt also kaum mehr im grundsätzlichen Zugang zum Internet, sondern in der gewinnbringenden Nutzung der vielen darauf basierenden Anwendungen. Wie das World Internet Project – Switzerland ( WIP-CH ) zeigt, bestehen bereits beim mobilen Internet Ungleichheiten : bei Männern und den 20 – 29-Jährigen sind es mehr als 90 Prozent der internetnutzenden Bevölkerung, während Frauen ( 82 % ) und Menschen ab 70 ( 72 % ) seltener unterwegs online sind ( Latzer et al. 2023 ).
In den 2010er-Jahren hat sich der statistische Zusammenhang zwischen soziodemografischen Unterschieden und der Internetnutzung verstärkt, während die Nutzung aber insgesamt zugenommen hat ( Festic, Büchi & Latzer 2021 ). Das heisst : Auch wenn sich Klüfte verschmälern – wie beim Internetzugang in der Schweiz – , können sie sich gleichzeitig vertiefen. Zwar sind nur noch sehr wenige Menschen vollständig von der digitalen Welt ausgeschlossen, aber diejenigen, die es sind, haben es immer schwerer. Neben diesen Verbreitungsbruchlinien zeigen sich auch Differenzen in den Kompetenzen und Einstellungen. Bei Sachfragen zur Funktionsweise digitaler Dienste schneiden beispielsweise höher Gebildete besser ab. Andere repräsentative Schweizer Studien bestätigen, dass digitale Grundkompetenzen in marginalisierten Gruppen eher fehlen : So haben 42 Prozent der von Armut betroffenen oder bedrohten Personen im digitalen Alltag Schwierigkeiten, über Messenger-Apps zu kommunizieren oder Rechnungen online zu bezahlen ( Ramp et al. 2024 ). Beide Anwendungsbeispiele sind aber zur Norm geworden und ihre analogen Alternativen mit deutlichen Nachteilen verbunden. Insgesamt ist die durchschnittliche Selbsteinschätzung der digitalen Fähigkeiten in der Schweizer Bevölkerung über die Jahre bemerkenswert stabil. Offenbar verläuft das kontinuierliche Lernen der Internetnutzer : innen parallel zur Zunahme der technisch notwendigen und sozial erwarteten Fähigkeiten.
Mit Blick auf das digitale Wohlbefinden zeigt sich, dass sich besonders Personen mit hohen Internetfähigkeiten in die Informationsgesellschaft integriert fühlen ( Latzer et al. 2023 ). Insgesamt sind die meisten Menschen in der Schweiz der Meinung, mit dem digitalen Wandel Schritt halten zu können ( Ramp et al. 2024 ). Ein beobachtenswerter Befund ist, dass der so empfundene digitale Überkonsum zunimmt : 36 Prozent der Schweizer Internetnutzer : innen sagten 2023, dass sie täglich mehr Zeit online verbringen, als sie es eigentlich möchten ( Latzer et al. 2023 ). Es fehlt ( noch ) an sozialen Normen, die uns vor dem digitalen Erwartungsdruck schützen, etwa in Bezug auf Erreichbarkeit und Kompetenzen. Zudem gibt es auch hier Hinweise, dass Personen mit weniger Ressourcen stärker betroffen sind ( Gui & Büchi 2021 ). Dieser kulturelle Verzug gegenüber der technologischen Entwicklung sorgt dafür, dass nun am anderen Ende des Nutzungsspektrums auch selbstbestimmtes, zeitweiliges Offline-Sein zum Privileg wird ( Geber, Nguyen & Büchi 2024 ). Was die konkreten Auswirkungen der ungleichen digitalen Mediennutzung auf die Lebensqualität und die Gesellschaft sind, erfordert dringend weitere Forschung.
Herausforderungen für die Governance
Um die Digitalisierung und damit alle Funktionen medienvermittelter Kommunikation – Information, Austausch, Unterhaltung etc. – sinnvoll gestalten zu können, bedarf es einer expliziten Werteorientierung, wie sie etwa in der vordigitalen Medienwelt im öffentlichen Rundfunk institutionalisiert wurde ( Jay 2024 ). Das heisst, es muss in irgendeiner Form ein gesellschaftlicher Konsens über die « Endziele » der Digitalisierung erreicht und in geeigneter Weise in Prozesse von Governance umgesetzt werden. Dabei ist zentral, dass diese Ausrichtung transparent gemacht wird. Eine Möglichkeit für ein solches Ziel ist « Well-Being » ( Büchi 2024 ; Frijters et al. 2020 ). Die Perspektive dieser Publikation verweist mit dem Begriff der Kluft auf eine Dynamik, die dem Wohlergehen einer Gesellschaft abträglich ist, und impliziert zugleich, dass eine Verringerung dieser Kluft gesellschaftlich anzustreben ist. Dahinter stehen neben allgemeinem Wohlergehen auch die Werte Universalität und Fairness.
Fazit
Die eingangs beschriebene Diffusionsperspektive könnte dazu verleiten, die Verantwortung allein auf der individuellen Ebene zu suchen oder die Klüfte zu entproblematisieren. Die Voraussetzungen für eine geschickte Nutzung digitaler Medien sind jedoch bereits sozial ungleich verteilt ; somit ist die Kluft nicht nur ein vorübergehender Generationeneffekt. Das zentrale Argument für Massnahmen ist, dass digitale Medien zunehmend elementare persönliche und gesellschaftliche Funktionen « ummanteln » und damit prägen, diese Technologien aber kaum demokratisch gesteuert werden. Dabei sollten Massnahmen auf verschiedenen, jeweils geeigneten Ebenen ansetzen. Dies kann beispielsweise im Kleinen bedeuten, dass eine einzelne App barrierefrei optimiert wird, oder im Grossen, dass die digitale Monopolbildung rechtlich eingeschränkt wird ( Andree 2023 ; EMEK 2025 ). Gerechte digitale Gesellschaften bedingen, dass man versteht und demokratisch steuert, wie digitale Mediennutzung den Zugang zu welchen Ressourcen erfordert und ermöglicht.
Literaturhinweise
Andree, M. ( 2023 ). Big Tech muss weg ! Die Digitalkonzerne zerstören Demokratie und Wirtschaft – wir werden sie stoppen. Campus.
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