Jugend

Ein Beitrag von Prof. Dr. Olivier Steiner und Prof. Dr. Rahel Heeg
Institut Kinder- und ­Jugendhilfe, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW

Kinder und Jugendliche sind in westlichen Gesellschaften von vielfältigen Ungleichheiten be­troffen, die ihre Entwicklungschancen und Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe b­eein­trächtigen. Ungleichheiten bestehen in Lebensbereichen wie der Bildung oder der finanziellen und materiellen Ausstattung. Treffen unterschiedliche Benachteiligungen zusammen, können sich die Belastungen bei Heranwachsenden kumulieren. Ein zunehmend wichtiger Aspekt von Ungleichheit ist die Ausstattung mit und der Zugang zu digitalen Technologien.

Unterschiede im Zugang zu Geräten

Während im Jahr 2024 praktisch alle Jugendlichen in Familienhaushalten über Internetzugang, Handy und Computer / Laptop verfügen, zeigen sich je nach sozioökonomischem Status einige Unterschiede bei spezifischen Geräten, die insgesamt seltener vorhanden sind, wie z.B. DVD-Geräte, tragbare Spielkonsolen, Smartwatches oder E-Book-Reader. Mit steigendem sozioökonomischem Status besitzen Jugendliche häufiger eigene Geräte. Sie haben auch häufiger Zugang zu Abonnements wie Film-, Musik-, Fernseh-, Zeitschriften-, Zeitungs-, E-Book-Reader- und KI-Anwendungs-Abos ( Külling et al. 2024 ).

Unterschiede im Zugang zu Anwendungen, Kompetenzen und Folgewirkungen

Insgesamt besteht eine digitale Kluft somit nicht in einem ( fehlenden ) Zugang zum Internet, sondern im ( fehlenden ) Zugang zu spezifischen Anwendungen und Inhalten – was sich in der Vielfalt der möglichen Aktivitäten niederschlägt und unterschiedliche Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten bedeutet. Daraus folgen somit auch unterschiedliche Chancen der Kompetenzaneignung ( Külling et al. 2024 ; van Deursen & van Dijk 2019 ).

Auch die Onlineaktivitäten von Heranwachsenden unterscheiden sich nach Bildungshintergrund :

Jugendliche aus höheren Bildungsschichten betätigen sich beispielsweise deutlich öfter online politisch und erschliessen sich dadurch etwa neue soziale Netzwerke ( Jans et al. 2022 ). Hingegen geht ein geringerer formaler Bildungsstand mit mehr passivem Konsum Sozialer Medien und mit einem höheren Anteil an regelmässigem Gamen einher ( Feierabend et al. 2024 ). Laut der Schweizer Studie « always on » machen sich Jugendliche mit steigender formaler Bildung öfter Gedanken zu ihrer Online-Nutzung und zu den gesellschaftlichen Auswirkungen des Internets. Sie haben seltener das Gefühl, dass sie online nichts Wichtiges verpassen wollen und fühlen sich seltener durch Apps unter Druck gesetzt, welche Nutzung belohnen und Abwesenheit bestrafen ( Steiner & Heeg 2019 ). Auch ist das psychische Wohlbefinden bei weiblichen Jugendlichen mit tiefem sozioökonomischem Status durch die Social-Media-Nutzung beeinträchtigt ( Mader et al. 2025 ). Weiter zeigen sich auch hinsichtlich problematischem Verhalten bildungsbezogene Unterschiede : Jugendliche mit niedrigem formalem Bildungsgrad werden öfter online persönlich beleidigt (Feierabend et al. 2024, 56).

Etwas überraschend ist, dass mit steigendem Bildungsgrad Jugendliche häufiger auf problematische Inhalte im Netz ( wie Hate Speech, beleidigende Kommentare, ungewollte pornografische Inhalte ) stossen. Dies könnte an einer unterschiedlichen Einordnung von entsprechenden Erfahrungen im Netz liegen ( Feierabend et al. 2024, 54 ), also daran, dass Jugendliche mit steigendem formalem Bildungsgrad problematische Inhalte häufiger als solche erkennen. Es sind zudem Wechselwirkungen zu beobachten : Eine problematische Mediennutzung steht oftmals in Zusammenhang mit belastenden sozialen Kontexten mit Gleichaltrigen und dem Elternhaus sowie fehlendem Support von Erwachsenen. Die problematische Mediennutzung ist insofern Ausdruck von Benachteiligungen und kann diese zugleich weiter verschärfen ( Odgers & Jensen 2020 ).

Für sozioökonomisch benachteiligte Kinder und Jugendliche gilt somit insgesamt :

1. Sie haben einen eingeschränkten Zugang zu spezifischen digitalen Technologien, was sich in weniger vielfältigen Onlineaktivitäten niederschlägt.

2. Sie haben geringere Kenntnisse und Fähigkeiten, um digitale Technologien zu nutzen und Onlineaktivitäten kritisch zu reflektieren.

3. Sie erleben vielfältige ( auch physisch-materielle ) Folgen von digitalen Ungleichheiten.

Mit der zunehmenden Bedeutung digitaler Technologien in modernen Gesellschaften haben digitale Ungleichheiten in Bezug auf Wissen und Fertigkeiten also weiterreichende Folgen für die Bildungswege Heranwachsender.

Ansätze zur Überwindung der digitalen Kluft

Es braucht deshalb Ansätze zum Umgang mit der digitalen Kluft unter Heranwachsenden. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit ( OKJA ) ist ein wichtiger Bildungsort insbesondere für benachteiligte Jugendliche und ist damit ein zentrales Feld einer gerechtigkeitsorientierten Sozialen Arbeit ( Fuchs, Gerodetti & Gerngroß 2022 ; Gerodetti et al. 2020 ; Schwerthelm & Sturzenhecker 2021 ).

Die OKJA orientiert sich an den fachlichen Standards Bedürfnisorientierung, Freiwilligkeit, Offenheit sowie Niederschwelligkeit. Gegenüber stärker kompetenzorientierten schulischen Ansätzen bestehen damit eigenständige Potenziale, digitale Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen zu adressieren. Im Folgenden werden entlang ausgewählter fachlicher Standards der OKJA Überlegungen für eine gerechtigkeitsorientierte Bearbeitung digitaler Ungleichheiten formuliert ( vgl. Steiner 2025 ) :

Verstehen und Anerkennen subjektiver Lebenswirklichkeiten :
Jede Mediennutzung ist in soziale Kontexte eingebettet. Fachpersonen sind daher aufgefordert, die Sinnhaftigkeit der Mediennutzung Heranwachsender im Kontext ihrer subjektiven Lebenswirklichkeit nachzuvollziehen, auch wenn diese von gesellschaftlichen Normen abweicht. Gerade wenn milieubezogene Unterschiede zwischen Fachpersonen und Adressat : innen bestehen, ist eine interessierte, unvoreingenommene Haltung zentral, um die komplexen, digital geprägten Lebenswelten der Heranwachsenden in ihrer subjektiven Sinnhaftigkeit zu verstehen und bedarfsgerechte Angebote zu entwickeln. Dies bedeutet nicht kritiklose Akzeptanz, sondern das Anliegen, die Motive Heranwachsender für ihre Mediennutzung im Kontext ihrer Lebenslagen zu verstehen und medienrelevante Themen als Gelegenheit für pädagogische Auseinandersetzungen zu nutzen.

Ressourcenorientierung :
Ein zentrales Element ausserschulischer Jugendarbeit besteht in der Orientierung an den Ressourcen von Kindern und Jugendlichen – ohne Belastungen und Benachteiligungen zu ignorieren. Heranwachsende verfügen oftmals über spezifisches medienrelevantes Wissen, beispielsweise zur kulturellen Bedeutung von Memes, Ästhetik in Sozialen Medien oder Formen der Konfliktbearbeitung auf Instant-Messaging-Plattformen. Dieses Wissen gilt es in der OKJA aufzugreifen und mit Jugendgruppen gemeinsam in Austausch zu bringen. Ziel ist dabei, über die Aneignung von Medienkompetenzen hinaus selbstorganisierte Bildungsprozesse für die Erlangung von Autonomie und Beteiligungsfähigkeiten auch gerade für benachteiligte Jugendliche zu ermöglichen.

Möglichkeitsräume schaffen :
Ein zentrales Element einer gerechtigkeitsorientierten professionellen Arbeit in der Digitalität liegt darin, Heranwachsenden Erfahrungs- und Möglichkeitsräume für neue, aktive, kreative und kollaborative Online-Aktivitäten zu eröffnen sowie ihnen Zugang zu vielfältigen Technologien zu verschaffen und sie bei deren Nutzung zu begleiten.

Partizipation :
Ein bedeutendes demokratiebildendes Arbeitsprinzip der OKJA ist die Schaffung von Gelegenheiten zur aktiven Beteiligung von Heranwachsenden an der Ausgestaltung der Einrichtung und des lokalen Umfelds. Die Heranwachsenden erproben dabei Selbstorganisation und Mitbestimmung und machen die Erfahrung, Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen zu nehmen. Digitale Medien können dabei als Mittel der Beteiligung eingesetzt werden, z.B. bei Beteiligungsprozessen in der Einrichtung oder der Gemeinde, oder Gegenstand partizipativer Prozesse sein – zum Beispiel, wenn es um die Social-Media-Aktivitäten der Einrichtung oder die Einrichtung eines Minecraft Servers geht.

Politische Einmischung :
Eine dysfunktionale Mediennutzung kann auch Ausdruck von Benachteiligungen und Stressoren sein, die gesellschaftlich verursacht sind. Die OKJA sollte deshalb nicht nur im pädagogischen Binnenraum agieren, sondern auch auf politischer Ebene Benachteiligungen und ungleiche Lebensbedingungen thematisieren.

Fazit

Sozioökonomisch benachteiligte Jugendliche werden im digitalen Raum auf vielfältige, eher subtile Art benachteiligt. Ungleichheiten im digitalen Raum verstärken dabei die Belastungen, die Heranwachsende im analogen Bereich erleben. Die OKJA kann mit ihrer kritischen, partizipativen und ressourcenorientierten Herangehensweise benachteiligte Jugendliche auch bezogen auf digitale Benachteiligungen unterstützen. Wenn es nicht gelingt, benachteiligte Heranwachsende sowohl offline als auch online angemessen zu unterstützen, besteht die Gefahr, dass sich die digitale Kluft vertieft.

Literaturhinweise

Feierabend, S., Rathgeb, T., Gerigk, Y. & Glöckner, S. ( 2024 ). JIM-Studie 2024. Jugend, Information. Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Medien­pädagogischer Forschungsverbund Südwest mpfs.

Fuchs, M., Gerodetti, J. & Gerngroß, M. ( Hrsg. ) ( 2022 ). Offene Kinder- und Jugendarbeit in der Schweiz : Einblicke in Theorie, Konzepte, Empirie und Alltagspraxis. Springer Fachmedien. doi.org/10.1007/978-3-658-37670-3

Gerodetti, J., Fuchs, M., Fellmann, L., Gerngross, M. & Steiner, O. ( 2020 ). Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in der Schweiz. Ergebnisse der ersten schweizweiten Umfrage. Seismo Verlag.

Jans, C., Golder, L., Pepe, A., Burgunder, T., Bohn, D. & Rey, R. ( 2022 ). Jugendbarometer 2022. Unsicher statt unbeschwert : Die Jugend in Zeiten der Krise. Credit Suisse und gfs.bern.

Külling, C., Waller, G., Willemse, I., Deda-Bröchin, S., Suter, L., Streule, P., Settegrana, N., Jochim, M., Bernath, J. & Süss, D. ( 2024 ). JAMES. Jugend, Aktivitäten, Medien. Erhebung Schweiz. Ergebnisbericht zur JAMES-Studie 2024. Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW.

Mader, S., Costantini, D., Fahr, A. & Jordan, M. D. ( 2025 ). The effect of social media use on adolescents’ subjective well-being : Longitudinal evidence from Switzerland. Social Science & Medicine, 365. doi.org/10.1016/j.socscimed.2024.117595

Odgers, C. L. & Jensen, M. R. ( 2020 ). Adolescent development and growing divides in the digital age. Dialogues in Clinical Neuroscience, 22( 2 ), 143 – 149. doi.org/10.31887/DCNS.2020.22.2/codgers

Schwerthelm, M. & Sturzenhecker, B. ( 2021 ). In der Offenen Jugendarbeit geht noch was. Sozial Extra, 45( 5 ), 339 – 343. doi.org/10.1007/s12054-021-00420-9

Steiner, O. ( 2025 ). Fachliche Standards der Kinder- und Jugendarbeit in einer Kultur der Digitalität. In E. Rösch & N. Brüggen ( Hrsg. ), ( Post )Digitale Kinder- und Jugendarbeit. Beltz Juventa ( in Erscheinung ).

Steiner, O. & Heeg, R. ( 2019 ). Studie « always on » : Wie Jugendliche das ständige Online-Sein erleben. Hochschule für Soziale Arbeit FHNW. www.alwayson-studie.ch

Van Deursen, A. J. & van Dijk, J. A. ( 2019 ). The first-level digital divide shifts from inequalities in physical access to inequalities in material access. New Media & Society, 21( 2 ), 354 – 375. doi.org/10.1177/1461444818797082