Einleitung

Ein Beitrag von Rafael Freuler
sozial.digital

Bewerbung, Arbeit, Dating, Beziehungspflege, Schule, Steuererklärung, Meinungsbildung, Haushalt oder Abstimmungen – in fast allen Lebensbereichen spielen das Internet und digitale Werkzeuge längst eine zentrale Rolle. Zunehmend können essenzielle Aufgaben nur noch auf digitalem Weg erfüllt werden. Das steigert oft die Effizienz, ermöglicht Vernetzung und schafft Zugänge.

Doch ist die Digitalisierung für alle vorteilhaft ? Digitalität kann Hürden schaffen, anstatt für bessere Vernetzung und gesellschaftliche Teilhabe zu sorgen. Besonders häufig benachteiligt sind Menschen, die nicht über die notwendigen Geräte verfügen, welchen digitale Fähigkeiten fehlen oder die aufgrund ihrer persönlichen Voraussetzungen und Einschränkungen gängige digitale Werkzeuge nicht gewinnbringend für sich einsetzen können. Man unterscheidet dabei zwischen drei Stufen der digitalen Kluft :

Eigene Darstellung nach van Dijk, 2019

Drei Stufen der digitalen Kluft

Die erste Stufe bezieht sich auf den Zugang zu Geräten und Infrastruktur wie Computer, Handy, Internet, Software und Plattformen. In der Schweiz verfügen fast alle über Geräte und Internet-Anschluss. Allerdings steigen die Abo-Kosten für den Zugang zu Informationen und Werkzeugen zunehmend – kostenlose Angebote schwinden.

Doch auch das Vorhandensein der notwendigen Geräte und Software macht die digitale Kluft nicht zwangsläufig überwindbar. Die zweite Stufe betrifft die Art und Weise der Nutzung und die Fähigkeiten der Nutzer : innen. Hier entsteht eine Kluft zwischen den Menschen, die digitale Anwendungen zur Information, für Administration, Behördengänge sowie für Bildung und Karriere nutzen, und denjenigen, die primär Unterhaltungs-, Einkaufs- oder Kommunikations-Apps verwenden. So wickelten Schweizer : innen in den Jahren 2020 bis 2023 beispielsweise rund 31 Prozent ihrer Anliegen mit der staatlichen Verwaltung offline ab, auch wenn es digitale Möglichkeiten gegeben hätte (Initiative D21 & TU München, 2023). Entweder weil sie den digitalen Weg nicht kannten oder aber sich bewusst dagegen entschieden haben. Die Ursachen dafür liegen im unterschiedlichen Bildungshintergrund, in den kognitiven und physischen Fähigkeiten sowie dem persönlichen Umfeld und der Motivation.

Doch selbst wenn alle befähigt und motiviert sind, Digitalität für sich einzusetzen, kann Digitalisierung Ungleichheit schaffen oder verstärken. Die dritte Stufe beschäftigt sich daher mit dem tatsächlichen Mehrwert der Digitalität für einzelne Personen und Personengruppen. Bringt sie allen gleichermassen einen ökonomischen, sozialen, politischen oder kulturellen Vorteil ? Finden beispielsweise alle Stellensuchenden dank digitalen Bewerbungsverfahren tatsächlich leichter einen passenden Job oder sind spezifische Gruppen von neuen Benachteiligungen betroffen ? Ist eine digitale Verwaltung für alle Nutzer : innen effizienter und gerechter ? Profitieren Kund : innen von tieferen Preisen beim Online-Shopping oder werden sie häufiger Opfer von Betrug ? Wer profitiert tatsächlich von den Vernetzungsmöglichkeiten mit Social Media ? Diesen Fragen gehen wir in dieser Publikation eingehend nach.

Auf allen drei Stufen sind bestimmte Personengruppen besonders gefährdet oder benachteiligt :

Sowohl armutsbetroffenen Personen als auch Menschen mit psychischen Erkrankungen mangelt es oft an funktionierenden Geräten, einem Internet-Anschluss sowie an Medienkompetenz und Motivation. Nur wenige sehen in digitalen Hilfsmitteln einen Mehrwert (Chiapparini et al. 2023).

Unter Senior : innen nutzen zwar mehr als drei Viertel regelmässig das Internet und Smartphones (Seifert et al. 2020). Neuere Formen der Digitalität sind jedoch unbeliebt. Beispielsweise nutzen weniger als 20 Prozent Self-Checkout-Kassen. Allgemein befürworten nur 12 Prozent der über 80-Jährigen digitale Dienstleistungen. Fehlen analoge Alternativen, sind sie potenziell vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen.

Personen mit Behinderungen können dank unterstützenden Technologien ganz besonders von digitalen Hilfsmitteln profitieren. Dazu müssen digitale Dienstleistungen jedoch – was oft vergessen geht – bewusst barrierefrei entwickelt sein. So sind mehr als 60 Prozent der 50 gängigsten Apps in der Schweiz für Personen mit Behinderungen nur ungenügend zugänglich (Stiftung « Zugang für alle » 2023).

Personen aus bildungsfernem Umfeld, ob jung oder alt, profitieren häufig weniger von den Möglichkeiten der Digitalität. Es fehlen ihnen die Fähigkeiten und das Kontextwissen, um Informationen rasch einzuordnen, digitale Werkzeuge gewinnbringend einzusetzen und sich vor Fehlinformation, Manipulation oder übermässigem Medienkonsum zu schützen. Das betrifft auch Menschen mit Sprachbarrieren und anderer Sozialisation aufgrund eines Migrationshintergrundes.

Doch auch nicht offensichtlich benachteiligte Personen sind immer wieder mit digitaler Exklusion konfrontiert. Unterschiede in Kultur, persönlichen Überzeugungen, Gewohnheiten, Lebensumständen, Charaktereigenschaften oder sexueller Orientierung können dazu führen, dass digitale Werkzeuge weniger gut zugänglich oder praktikabel sind. Beispielsweise kann es für gewisse Personen hilfreich sein, im Restaurant über eine App digital zu bestellen. Für andere jedoch ist der persönliche Kontakt entscheidend.

Somit sind wir alle in unterschiedlichen Situationen von der digitalen Kluft betroffen – manche weniger, andere mehr. Dies wirft die Frage auf, wie Digitalität gestaltet werden kann, um Ungleichheiten zu minimieren statt zu verstärken. Es braucht Massnahmen, um Digitalität so zu gestalten, dass neu entstehende Ungleichheiten abgefedert und bestehende reduziert werden. Gesamtgesellschaftlich sind die sozialen Folgen der Digitalisierung eine Herausforderung, die erst im Ansatz erkannt ist. Eine soziale Digitalisierung erfordert auf jeden Fall eine enge Zusammenarbeit von Expert : innen, Betroffenen und unterschiedlichen Akteuren.

Literaturhinweise

Calderón Gómez, D. ( 2019 ). The Three Levels of the Digital Divide : Barriers in Access, Use and Utility of Internet among Young People in Spain. Interações : Sociedade e as novas modernidades 10, 64 – 91, 77. www.interacoes-ismt.com/index.php/revista/article/view/410/425

Chiapparini, E., Willener, D., Domonell, K. & Hegedüs, A. ( 2023 ). Digitalisierung : Hürden für vulnerable Gruppen. arbor.bfh.ch/handle/arbor/35612

Initiative D21 & Technische Universität ( TU ) München ( 2023 ). eGovernment MONITOR 2023. initiatived21.de/publikationen/egovernment-monitor/2023

Seifert, A., Ackermann, T. & Schelling, H. R. ( 2020 ). Digitale Senioren 2020, Nutzung von Informations- und Kommunikationstech­nologien durch Personen ab 65 Jahren in der Schweiz. Pro Senectute Schweiz. www.prosenectute.ch/dam/jcr:1e37ab48-cd44-4ba2-9a91-23ce43c7a664/Studie_DigitaleSenioren2020_DE.pdf

Stiftung « Zugang für alle » ( 2023 ). Schweizer Accessibility Studie 2023. as23.access-for-all.ch/

Van Dijk, J. ( 2019 ). The Digital Divide. Polity Press, 7 ff. www.researchgate.net/publication/336775102_The_Digital_Divide