Armut

Ein Beitrag von Loretta Walther und Prof. Dr. Emanuela Chiapparini
Berner ­Fachhochschule, Soziale Arbeit, Abteilung Soziale Intervention

Armutsbetroffene Personen sind eine besonders hervorzuhebende Risikogruppe im Hinblick auf den Ausschluss aus der digitalen Welt. So zeigt sich, dass gerade armutsbetroffene Personen häufiger Herausforderungen in der Überwindung der digitalen Kluft erleben. Der folgende Beitrag gibt einen empirisch fundierten Einblick in die eigene Ver­ortung, den Bedarf und die Lösungsvorschläge bezüglich der digitalen Kluft aus Perspektive be­frag­ter armutsbetroffener Personen.

Armutsbetroffenheit und digitaler Ausschluss

Um zu verstehen, welche Gruppen besonders von der digitalen Kluft betroffen sind, ist es wichtig, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche digitale Teilhabe zu betrachten. Zentrale Faktoren hierzu sind der Zugang zur nötigen Infrastruktur, digitale Grundkompetenzen, positive Lernerfahrungen, eine entsprechende Bildungsmöglichkeit ( Hashemi & Moder 2020 ; Wüstholz 2023 ) und ausreichende finanzielle Ressourcen ( Schabram, Schulze & Stilling 2023 ). Bestimmte Gruppen sind besonders gefährdet, vom sozialen Ausschluss betroffen zu sein : Menschen mit niedrigem Bildungsstand, negativen Lernerfahrungen ( van Dijk 2019 ), ohne soziales Unterstützungsnetz ( Friemel 2014 ), mit Migrationserfahrung, gesundheitlichen Einschränkungen ( Kersting 2020 ), ältere Menschen und solche mit geringem Einkommen ( Bürger & Grau 2021 ).

Digitaler Ausschluss kann also auf verschiedene Herausforderungen zurückgeführt werden. Besonders interessant ist hierbei, auf armutsbetroffene Personen explizit einzugehen. Denn Armut kann sowohl die Folge als auch die Ursache der oben aufgeführten Ausschlussdimensionen darstellen ( vgl. Böhnke, Dittmann & Goebel 2018 ). Es ist daher davon auszugehen, dass armutsbetroffene Personen eine komplexe, herausfordernde Situation in Bezug auf Zugang und Nutzung von digitalen Medien aufweisen.

Aufgrund ihrer Lebenssituation haben armutsbetroffene Personen häufig wenig Zugang zu digitalen Medien und Wissen in der Digitalität ( Chiapparini et al. 2023 ). Vermutlich werden Menschen mit niedrigem Einkommen auch bei der Entwicklung digitaler Geräte und Medien wenig berücksichtigt, da sie keine finanzstarke Zielgruppe darstellen. Digitale Geräte und Tools sind nämlich keine neutralen Objekte, sondern spiegeln die Bedürfnisse und Vorstellungen derjenigen wider, die sie entwickelt haben und für die sie gedacht sind ( Reidl et al. 2020 ).

Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, die Herausforderungen, Bedürfnisse und Lösungsvorschläge armutsbetroffener Personen hinsichtlich digitaler Teilhabe explizit zu betrachten, um diese dann auch auf individueller und institutioneller Ebene adressieren zu können.

Dazu eignet sich ein jüngst durchgeführtes Forschungsprojekt im Rahmen des thematischen Themenschwerpunkts der Berner Fachhochschule « Humane digitale Transformation ». Das Projekt zeigt, welche Bedürfnisse und Unterstützungsangebote aus Sicht armutsbetroffener Personen bestehen und notwendig sind, um an der Digitalität beteiligt zu sein und diese für eine passende Alltagsgestaltung zu nutzen. Basierend darauf haben Betroffene konkrete Vorschläge dazu entwickelt, welche Arten von Unterstützungsangeboten sinnvoll und unterstützend wären ( vgl. Walther & Chiapparini 2024 ). Anzumerken ist vor der Darstellung dieser Resultate allerdings, dass diese die Perspektive der befragten armutsbetroffenen Personen gebündelt aufzeigt und keine repräsentative Perspektive aller armutsbetroffenen Personen in der Schweiz abbildet.

Die Studie bestätigt die oben genannten Befunde aus dem Fachdiskurs : Bestimmte Gruppen von Menschen sind besonders gefährdet, vom digitalen Leben ausgeschlossen zu werden. Dazu gehören vor allem Personen, die keinen Zugang zu digitalen Geräten oder zu einem sicheren Netz haben oder die sich keine ausreichenden digitalen Kenntnisse aneignen konnten. Auch Menschen mit niedrigem Bildungsstand oder negativen Lernerfahrungen sind häufig von Ausschluss betroffen, da die Wissensaneignung im digitalen Kontext herausfordernd ist und teilweise selbstgesteuertes Lernen voraussetzt.

Die Studie gibt auch Aufschluss darüber, wie sich armutsbetroffene Personen selbst in der digitalen Welt verorten :

Alle befragten Personen haben in irgendeiner Form Zugang zu digitalen Geräten, sei es durch eigenen Besitz oder durch Angebote wie Internetcafés oder Vereine, die sie kennen und nutzen. Der Zugang zu Geräten über Dritte ist jedoch häufig zeitlich begrenzt. Die Medien werden überwiegend allein genutzt, wobei die Unterstützung durch Familie oder Freunde bei Herausforderungen eine wichtige Rolle spielt. Insbesondere Mobiltelefone und Computer werden täglich genutzt. Dabei nutzen die Befragten digitale Medien zu unterschiedlichen Zwecken : zur Arbeit, zur Kommunikation, zur Informationsbeschaffung und zur Freizeitgestaltung. Die Mehrheit der Befragten schätzt ihre digitale Affinität als mittelmässig ein, allerdings mit einer gewissen Skepsis der Digitalität gegenüber und explizit benannten Wissenslücken ( z.B. in Bezug auf KI ). Dennoch sind sich alle einig, dass die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung und das Erlernen digitaler Fähigkeiten notwendig sind, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können.

Zu den aktuell grössten Herausforderungen in der Digitalisierung zählen laut der durchgeführten Studie fehlendes digitales Wissen, zeitlich begrenzter Zugang zu Geräten über Dritte, fehlende soziale Netzwerke, Unsicherheiten in Bezug auf Datensicherheit und Datenschutz und unzureichende Möglichkeiten, digitale Geräte – insbesondere ihre schnelllebigen und sich ständig verändernden Anwendungen – selbstständig auszuprobieren. Auch die Bezahlbarkeit von Geräten sowie eines stabilen digitalen Netzes und die zunehmend digitale Verwaltung von Finanzen stellen für viele eine Hürde dar.

Die Studie zeigt weiter, dass unter den Befragten eine Nachfrage nach niederschwelligen und flexiblen Unterstützungsangeboten besteht, die es den Betroffenen ermöglichen würden, digitale Geräte besser zu verstehen, auszuprobieren und zu nutzen. Dabei wird besonders der Wunsch nach einem selbstständigen Umgang mit den Geräten und einer flexiblen Begleitung im Lernprozess deutlich.

Ein wichtiger Vorschlag ist, modular aufgebaute Kurse anzubieten, die sich an den individuellen Bedürfnissen der Teilnehmenden orientieren und ein Lernen im eigenen Tempo ermöglichen. Dabei soll nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch Raum für eigene Lernprozesse geschaffen werden, damit armutsbetroffene Menschen neue digitale Werkzeuge selbstständig ausprobieren und für sich entdecken können.

Auch Peer-Arbeitskonzepte werden als sinnvoll erachtet, bei denen armutsbetroffene Menschen mit erworbenen digitalen Fähigkeiten andere armutsbetroffene Menschen mit niedrigeren digitalen Fähigkeiten oder Lernblockaden unterstützen. Solche Konzepte könnten dazu beitragen, Schamgefühle bei der Inanspruchnahme von Unterstützung abzubauen und den Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen armutsbetroffenen Personen zu fördern.

Fazit

Zusammenfassend zeigt sich, dass es notwendig ist, speziell auf die Bedürfnisse armutsbetroffener Personen zugeschnittene flexible und niederschwellige Angebote zur digitalen Wissensaneignung und der selbstständigen Nutzung digitaler Geräte, Applikationen und Medien zu schaffen.

Hierzu lassen sich ein konkreter Angebotsbedarf und weiterführende Handlungsempfehlungen formulieren :

Die Umsetzung von flexiblen und niederschwelligen Kursangeboten erfordert eine genaue Prüfung und Planung, insbesondere in Bezug auf die didaktische Gestaltung. Dabei soll eine Kombination von Fachwissen und sogenannter Erfahrungsexpertise ehemals betroffener Personen in der Kursleitung berücksichtigt werden. Des Weiteren sind Fragen der Finanzierung und der Zugang zu zeitlich flexibler technischer Infrastruktur für die Durchführung zu klären. Diese Aspekte sind entscheidend, um ein funktionierendes und bedarfsgerechtes Lernumfeld zu schaffen.

Ein weiteres zentrales Element stellt die Vermittlung von digitalen Kompetenzen in spezifischen Bereichen dar, die für armutsbetroffene Personen besonders relevant sind. Hierzu zählen vor allem Themen wie digitale Finanzverwaltung, E-Banking und Datensicherheit im digitalen Raum. Es wird empfohlen, flexible, kursorientierte Unterstützungsangebote in diesen Bereichen zu schaffen, um den Teilnehmenden zu ermöglichen, sich diese wichtigen digitalen Wissensbestände anzueignen.

Zudem soll geprüft werden, inwiefern aktuelle Unterstützungsangebote nicht nur wissensvermittelnd gestaltet sind, sondern auch eine Förderung der selbstständigen Nutzung digitaler Geräte ermöglichen. Hierzu sind Unterstützungen wie leicht verständliche Anleitungen zu digitalen Medien zur Verfügung zu stellen. Diese sollen in Leichter Sprache verfasst sein und die Perspektive der armutsbetroffenen Personen berücksichtigen, um sicherzustellen, dass die Inhalte nachvollziehbar und zugänglich sind. Überdies sind Lernräume zu empfehlen, in denen nicht ausschliesslich zielgerichtet definierte Fähigkeiten erlernt werden sollen, sondern auch Platz für selbstständiges bzw. niederschwellig begleitetes eigenes Kennenlernen und Austesten aktueller digitaler Medien ge­schaffen wird.

Zur Qualitätssicherung und -verbesserung der bestehenden und zu entwickelnden Angebote sind begleitende Studien sinnvoll. Diese würden es ermöglichen, die Wirksamkeit und Bedürfnisorientierung der Angebote zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Die Ergebnisse einer solchen Evaluation könnten dabei helfen, die Angebote kontinuierlich weiterzuentwickeln und optimal auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abzustimmen.

Für eine umfassendere Vertretung der Bedürfnisse armutsbetroffener Personen hinsichtlich Digitalität und digitalem Ausschluss ist es notwendig, Forschungen umfassend zu gestalten. Es müssen auch Perspektiven von Personen einbezogen werden, die bisher unterrepräsentiert sind, wie etwa armutsbetroffene Personen aus ländlichen Gebieten, solche mit Sprachbarrieren oder betroffene Menschen, die stark von sozialer Isolation betroffen sind. Nur so kann gewährleistet werden, dass armutsbetroffene Personen nicht zunehmend aus dem digitalen Leben ausgeschlossen werden und die Chancen der Digitalisierung für sich nicht nutzen können.

Literaturhinweise

Böhnke, P., Dittmann, J. & Goebel, J. ( Hrsg. ) ( 2018 ). Handbuch Armut. Ursachen, Trends, Massnahmen. Verlag Barbara Budrich.

Bürger, T. & Grau, A. ( 2021 ). Digital Souverän 2021 : Aufbruch in die digitale Post-Coronawelt ? Hrsg. Bertelsmann Stiftung. DOI : 10.11586/2021115

Chiapparini, E., Willener, D., Domonell, C. & Hegedüs, A. ( 2023 ). Digitalisierung : Hürden für vulnerable Gruppen. arbor.bfh.ch/handle/arbor/35612

Friemel, T. N. ( 2016 ). The digital divide has grown old : Determinants of a digital divide among seniors. New Media & Society, 18( 2 ), 313 – 331. doi.org/10.1177/1461444814538648

Hashemi, S. & Moder, C. ( 2020 ). Digitalisierung inklusiv gestalten. Chancen und Risiken für Teilhabe im digitalen Zeitalter. In Die Armuts­kon­ferenz et al. ( Hrsg. ), Stimmen gegen Armut. Weil soziale Ungleichheit und Ausgren­zung die Demokratie gefährden ( 155 – 161 ). BoD – Books on Demand.

www.armutskonferenz.at/media/hashemi-moder_digitalisierung-inklusiv-gestalten_2020.pdf

Kersting, N. ( 2020 ). Digitale Ungleichheiten und digitale Spaltung. In T. Klenk, F. Nullmeier & G. Wewer ( Hrsg. ), Handbuch Digitalisierung in Staat und Verwaltung ( 1 – 11 ). doi.org/10.1007/978-3-658-23669-4_19-1

Kloker, S. ( 2020 ). Eine Brücke über die digitale Kluft. Sozialwirtschaft, 32( 5 ), 16 – 18.

Reidl, S., Streicher, J., Hoch, M., Hausner, B., Waibel, G. & Gürtl, F. ( 2020 ). Digitale Un­gleichheit : Wie sie entsteht, was sie bewirkt… und was dagegen hilft. Österreichische Forschungsfördergesellschaft mbH ( FFG ), Programm Laura Bassi 4.0.

Schabram, G., Schulze, K. & Stilling, G. ( 2023 ). Armut und digitale Teilhabe. Empirische Befunde zur Frage des Zugangs zur digitalen Teilhabe in Abhängigkeit von Einkommens­armut. Berlin : Der Paritätische. Paritätische Forschungsstelle.

Van Dijk, J. ( 2019 ). The Digital Divide. Polity Press.

Walther, L. & Chiapparini, E. ( 2024 ). Gemein­sam gegen den digitalen Ausschluss. Ein partizipatives Forschungsprojekt zu den Bedürf­nissen und zum Angebotsbedarf von armuts­betroffenen Personen im Kontext der Digitalisie­rung. Abschlussbericht. Berner Fachhochschule. www.bfh.ch/dam/jcr:9b76cffb-e8c7-48e1-aef3-1a008754b526/Gemeinsam%20gegen%20den%20digitalen%20Ausschluss_Walther_Chiapparini_2024%20( 7 ).pdf

Wüstholz, F. ( 2023 ). Digitalisierung : Der digitale Graben – Für mich, aber auch für dich ? Surprise. Online verfügbar unter surprise.ngo/digitalisierung-der-digitale-graben-fuer-mich-aber-auch-fuer-dich/